Zur Lage der Roma und anderer (ehemals) als 'Zigeuner' diskriminierter Minderheiten in Europa. Perspektiven der Forschung - Impulse für den Geschichtsunterricht

Zur Lage der Roma und anderer (ehemals) als 'Zigeuner' diskriminierter Minderheiten in Europa. Perspektiven der Forschung - Impulse für den Geschichtsunterricht

Organizer
Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der PH FHNW am Zentrum für Demokratie Aarau
Venue
Villa Blumenhalde
Location
Aarau
Country
Switzerland
From - Until
26.01.2013 -
Deadline
15.08.2012
By
Bernhard Schär

"Zigeuner" wurden im nationalsozialistisch besetzten Europa als "fremdrassige Volks- und Reichsfeinde" administrativ erfasst, deportiert und in Vernichtungslagern ermordet. Zwischen 220'000 und 500'000 Roma, Sinti und andere als "Zigeuner" verfolgte Minderheiten (Kalderash, Lovara, Kalés, Jenische, Ashkali, Manouches usw.) fielen dem NS-Verbrecherregime zum Opfer. Sie bilden nach den europäischen Juden die zweitgrösste Opferkategorie des NS-Unrechtsstaates.

Die Nachfahren der Opfer der NS-Zigeunerpolitik stehen heute vor einer widersprüchlichen Situation: Zum einen versuchen Europarat, EU und andere supranationale Organisationen Chancen und Integration von Roma zu fördern. Zum anderen tun sich europäische Nationalstaaten schwer damit, die Grund- und Minderheitenrechte der Roma zu garantieren und damit ihren eigenen demokratisch-rechstaatlichen Standards nachzuleben. So gehören Vorurteile, Diskriminierungen und Gewalt für viele Roma und andere als „Zigeuner“ stigmatisierte Gruppen zum Alltag. Pogromartige Übergriffe in Ungarn, die Zerstörung von Roma-Siedlungen in Italien, die Abschiebung tausender osteuropäischer Roma aus Frankreich, die hetzerische Berichterstattung über Roma-Kriminalität in einem schweizerischen Wochenmagazin sowie ungezählte Videos, die auf der Internetplattform "youtube" ungehemmt antiziganistische Vorurteile verbreiten, sind nur einige Beispiele aus jüngerer Zeit. Hinzu kommt, dass weite Teile der Mehrheitsbevölkerung kaum über das historische Schicksal dieser Gruppen während der NS-Zeit sowie über deren fortgesetzte Diskriminierung und Ausgrenzung informiert ist. Das Thema findet kaum Eingang in den schulischen Geschichtsunterricht. Roma und andere (ehemals) als "Zigeuner" verfolgte Minderheiten gelten in Europa folglich nach wie vor als „Fremde“ und als „Problem“.

Das Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik ist eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Pädagogischen Hochschule FHNW in der Schweiz. Zugleich bildet es eine von drei Abteilungen innerhalb des Zentrums für Demokratie Aarau, das mit der Universität Zürich assoziiert ist. Institutionell ist das Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik also an einer Schnittstelle zwischen Lehrerinnen- und Lehrerbildung, historischer, fachdidaktischer Forschung sowie der Erforschung der Geschichte und Praxis der Demokratie situiert. Das Zentrum organisiert seit 2010 alljährlich eine Tagung aus Anlass des Gedenktages an den Holocaust und an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieser wurde 2003 von der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz ins Leben gerufen.

Die Tagung am 26. Januar 2013 setzt sich zwei Ziele: Zum einen sollen die aktuellen Debatten in Politik und Öffentlichkeit über (angebliche) Roma-Kriminalität in der Schweiz und anderswo mit historischem und sozialwissenschaftlichem Grundlagenwissen angereichert werden. Im Fokus steht die Frage nach dem Schicksal der europäischen "Zigeuner" während der Zeit des Nationalsozialismus sowie nach den Kontinuitäten und Zäsuren struktureller Ausgrenzungsdynamiken bis in die gegenwärtigen, demokratisch verfassten Regimes der europäischen Nationalstaaten und ihrer supranationalen Organisationen. Zum anderen soll mit Hilfe von Studierenden an Pädagogischen Hochschulen der Schweiz versucht werden, das Thema stärker im Geschichtsunterricht und damit im historischen Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu verankern. Hierfür sollen Impulse für die Entwicklung von Lehr- und Unterrichtsmaterialien gegeben werden, die mit Blick auf eine Nachfolgekonferenz im Januar 2014 erprobt, evaluiert und gegebenenfalls veröffentlicht werden sollen.

Während drei historische Einführungsreferate am Vormittag sich den Zäsuren und Kontinuitäten europäischer Zigeunerpolitik während der NS-Zeit, des Kalten Krieges bis in die Gegenwart widmen, sollen thematisch fokussierte Fallstudien am Nachmittag dazu dienen, die Situation der Roma und anderer (ehemals) als „Zigeuner“ diskriminierter Minderheiten in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart zu vertiefen. Hierfür laden wir Forschende aller Disziplinen ein, Vorschläge für 20minütige Inputreferate einzusenden. Der Fokus der Referate soll auf der agency liegen. Es geht also um die Frage, mit welchen Formen der Selbstwahrnehmung und mit welchen Handlungsstrategien Roma und andere Gruppen ihr Überleben zu sichern suchen. Die Frage der agency soll in konkreten historischen Kontexten der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart situiert werden. Denkbar ist also, kulturelle und praktische Reaktionen gegenüber den strukturellen Ausschlüssen und der antiziganistischen Kultur der Mehrheitsbevölkerung zu thematisieren. Ebenso denkbar ist es jedoch, die Beziehungen dieser Gruppen gegenüber neueren Förderungsmassnahmen zu beleuchten, wie sie etwa von kirchlichen Organisationen, NGOs und Organen des Europarats oder der EU praktiziert werden. Denkbar ist es schliesslich auch, der Frage nachzugehen, wie Roma und andere Gruppen mit dem widersprüchlichen Nebeneinander von Förderungs- und Repressionspolitiken aus den europäischen Mehrheitsgesellschaften umgehen.

Ein thematischer Bezug zur Schweiz ist erwünscht, aber keine Voraussetzung. Wir freuen uns über Abstracts (maximal 300 Worte) mit Hinweisen auf allfällige Publikationen sowie kurzen Angaben zur Person. Bitte senden Sie diese bis am 15. August 2012 an: bernhard.schaer@fhnw.ch. Eine Benachrichtigung erfolgt bis Ende September.

Weitere Informationen auch unter: http://www.zdaarau.ch

Programm

Contact (announcement)

Bernhard Schär
Politische Bildung und Geschichtsdidaktik
Zentrum für Demokratie Aarau
Küttigerstrasse 21
5000 Aarau

http://www.fhnw.ch/ph/pbgd/
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German
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